Der Historiker Richard Rohrmoser hat eine faktenreiche Überblicksdarstellung zur Geschichte des Antifaschismus geschrieben. Zentrale Aspekte bleiben aber unterbelichtet.
Zum Antifaschismus in der Geschichte und der Gegenwart Deutschlands gibt es kaum seriöse Literatur, es überwiegen nämlich Pamphlete aus der Antifa-Szene. Eine Studie zum Thema zu verfassen, ist also im Prinzip ein löbliches Unterfangen. Der promovierte Zeithistoriker Richard Rohrmoser bietet eine Tour d’Horizon zum Antifaschismus in den letzten hundert Jahren – doch leider verdient sein flüssig geschriebenes Buch keine vorbehaltlose Empfehlung.
Eingangs kommt die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zur Sprache. Nach Benito Mussolinis «Marsch auf Rom» 1922 und der von ihm etablierten faschistischen Diktatur in Italien entstand eine breite antifaschistische Bewegung, zunächst dominiert von Demokraten, später von Kommunisten. Das Ausrufen der Antifaschistischen Aktion 1932 ist ein Beispiel für die Dominanz der Kommunisten – und nicht, wie der Autor schreibt, ein «letzter Versuch einer breiten Einheitsfront gegen rechts».
Das damals geschaffene Logo – zwei nach rechts wehende rote Fahnen in einem weissen Kreis, umrandet von einem roten Ring mit dem weissen Schriftzug «Antifaschistische Aktion» – sieht heute etwas anders aus: Die nach links gerichtete rote Fahne symbolisiert den Kommunismus, die ebenso nach links zeigende schwarze den Anarchismus.
Von Fantifa bis Panthifa
Präsentiert das nächste Kapitel in einem Überblick über die antifaschistischen Organisationen Deutschlands nach 1945 wenig Neues, etwa die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, der ältesten, bis heute bestehenden Organisation, ist der umfangreiche Teil über die «autonome Antifa» von anderem Kaliber. Er fusst auf eigenen Recherchen des Autors und liefert neue Erkenntnisse, so zum Entstehen der «autonomen Antifa» in den frühen 1980er Jahren oder zu verschiedenen Vernetzungen Anfang der neunziger Jahre, als nach rechtsextremistischen Gewaltexzessen die Antifa eine Renaissance erlebte.
«Den» Antifaschismus gibt es dabei nicht. Rohrmoser beschreibt Subgruppen wie die Fantifa und die Migrantifa, antifaschistische Feministinnen und Migranten. Zu ergänzen wären, als Reaktion auf die «Black Lives Matter»-Bewegung, die Panthifas, die sich an schwarze Antifaschisten richten. Auch die instruktiven Abschnitte über die differierenden, zum Teil gegensätzlichen Positionen zwischen den Antideutschen und den Antiimperialisten, die sich jeweils als Antifaschisten begreifen, sind hilfreich. Während die Antideutschen die USA und Israel unterstützen, sehen die Antiimperialisten in diesen Staaten die Hauptfeinde.
Zum Innenleben der Antifaschisten kann Rohrmoser wenig beisteuern. Das darf ihm nicht angelastet werden, schottet sich die Antifa-Szene doch weithin ab. Immerhin wäre es möglich gewesen, die Vielzahl einschlägiger Zeitschriften vorzustellen und auszuwerten. Aus ihnen geht nicht nur die Ablehnung des Faschismus hervor, was immer das heissen mag, sondern auch die des Kapitalismus, ja der parlamentarischen Demokratie. Dieser zentrale Aspekt fällt unterbelichtet aus.
Mit Sympathie geschrieben
Rohrmoser ist zwar weit davon entfernt, die Gewalt der Antifa gegen Sachen oder gar gegen Personen zu rechtfertigen, aber immer wieder legitimiert er die Bewegung. Sie soll sogar ein Vorreiter des staatlichen Antifaschismus sein. Der bayrische Verfassungsschutz habe Outings von Rechtsextremisten durch Antifaschisten «anerkannt». Hier wird ein zentraler Aspekt unterschlagen: Die Antifa mit ihrer Absage an das staatliche Gewaltmonopol kriminalisiert sich selber und kann kein Bündnispartner in der Auseinandersetzung mit rechtsextremen Positionen sein.
Es spricht nichts dagegen, antifaschistisches Selbstverständnis wiederzugeben, aber eine angemessene Konfrontation mit der oft kruden Realität wäre wünschenswert gewesen. Der Verfasser gebraucht zehnmal das Adjektiv «brutal», siebenmal davon im Zusammenhang mit Rechtsextremisten und Polizisten, kein einziges Mal ausschliesslich im Hinblick auf antifaschistische Kräfte, und das in einem Buch über Antifaschismus. Empathie gleitet über in Sympathie.
Entsprechend ist dem Autor auch das mehrmals erwähnte «Postulat der Äquidistanz» ein Dorn im Auge. Doch anders als Rohrmoser meint, bedeutet es nicht, dass Rechts- und Linksaussen gleichgesetzt werden sollen. Äquidistanz würde vielmehr bedeuten, gleichen Abstand zu allen Formen des Extremismus zu halten.
Richard Rohrmoser: Antifa. Porträt einer linksradikalen Bewegung. Von den 1920er Jahren bis heute. Verlag C.H. Beck, München 2022. 208S., Fr. 25.90.
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